Megafon Januar 2002
 

Nach den Ereignissen von Göteborg und Genua hat sich am 8.12. in Genf die Internationale Untersuchungskommission für die Erhaltung der Grundrechte im Prozess der Globalisierung konstituiert.

Global Repression - JuristInnen aller Länder vereinigt Euch!

"In den 70er Jahren hat die Polizei auch auf DemonstrantInnen geschossen, doch am nächsten Tag haben sie sich in der Stadt nicht mehr blicken lassen. Diesmal ist es anders. Nach der Erschiessung von Carlo haben sie noch heftiger zugeschlagen. Das macht uns Angst. Es hat sich etwas verändert in Italien"
Eine genuesische Anwältin nach den Ereignissen vom Juli 2001

Die bunte Schar, die sich an einem grauen Samstagnachmittag im Genfer Maison des Associations Socio-Politiques an der Rue des Savoises traf, hätte nicht  unterschiedlicher sein können: Alt- und junglinksgrüne AnwältInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, Basis-Antirep-AktivistInnen und Betroffene aus der  Schweiz, Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich und Spanien setzten sich im Saal Mahatma Ghandi zusammen, um gemeinsam über die Internationale  Untersuchungskommission für die Erhaltung der Grundrechte im Prozess der Globalisierung zu debattieren. Getragen wird die Kommission von  verschiedenen demokratischen AnwältInnenorganisationen (Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in  der Welt, Coordinamento Giuristi Democratici, Republikanischer Anwältinnen- und Anwaltsverein, Europäische Demokratische Anwälte, Coordination  pour un contrôle citoyen de l'OMC, Juristes democrates de Suisse, Juristes progessistes de Genève, etc.)

Fünf Themenbereiche und drei Aktivitäten hat sich die Internationale Untersuchungskommission zum Ziel gesetzt. Die neu gegründeten Arbeitsgruppen  werden sich auf europäischer Ebene mit der Repression in Genua-G8, der Erschiessung von Carlo Giuliani, der Repression gegen die Antiglobalisierungs-  und andere Bewegungen, der "Anti-Terror"-Gesetzgebung nach den Anschlägen vom 11. September und den Grundrechten gegenüber den Multinatinalen  Konzernen beschäftigen. Ziel ist es, diese Untersuchungen und Recherchen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und von der Repression  betroffene Bewegungen zu begleiten und zu beraten. Ob aus der Arbeit der Kommission auch juristische Schritte wachsen werden, ist noch unklar. Zuerst  muss eine funktionierende Struktur auf die Beine gestellt werden, was angesichts der Ressourcen und der Sprachenvielfalt nicht einfach sein wird.

In verschiedenen Referaten wurde die Entwicklung des europäischen Repressionsapparates kritisch und besorgt analysiert: EUROPOL, die Ereignisse in  Genua, die massive Aufrüstung der Staatsschutzapparate, die neuen "Anti-Terror"-Gesetze, etc. So soll zum Beispiel dem berühmt-berüchtigten deutschen  129 (kriminelle Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung) der 129b (ausländische kriminelle/terroristische Vereinigung) folgen (siehe auch  Vorwärts Nr. oder www.wsws.org/de/2001/okt2001/129b-o02.shtml). Auch der geplante Europäische Haftbefehl des EU-Anti-Teror-Pakets ist nicht ohne: Die Auslieferung mutmaßlicher TerroristInnen an andere Staaten soll  durch ein Verfahren ersetzt werden, nach dem Personen, die terroristische Aktionen durchgeführt haben, auf der Basis eines europäischen Haftbefehls  überstellt werden können. Skandalös die Terrorismus-Definition der EU-Innen-und JustizministerInnen (siehe Kasten): Eine terroristische Gruppe sei eine  strukturierte Vereinigung von mehr als zwei Personen, die für einen gewissen Zeitraum agiert und abgestimmt vorgeht, um terroristische Straftaten zu  begehen. Was sofort an das abstruse "Black Bloc"-Konstrukt der genuesischen Staatsanwaltschaft erinnert, mit welchem die G8-Gefangenen wochenlang  gefangen gehalten wurden und mit dem während den Sommerferien die Regierung Berlusconi in Italien die Terrorismus-Hysterie zu schüren versuchte. Beunruhigend der Gedanke,  dass z.B. deutsche G8-Folteropfer in der BRD verhaftet und nach Italien ausgeliefert würden, wenn der "Black Bloc" aufgrund dieser  Terrorismus-Definition zur terroristischen Vereinigung erklärt würde. Angesichts der Tradition der italienischen Justiz, PolitaktivistInnen mit irgendwelchen  abstrusen Tatbestandskonstrukten hinter Gitter zu bringen, ist das nicht mal so abwegig. Mehr zur europäischen Repressionswelle unter www.cilip.de.

Fazit der Veranstaltung in Genf: Genua-G8 und die Terror-Hysterie-Gesetzgebung nach S11 hat offenbar auch bei kritischen JuristInnen in ganz Europa die  Alarmglocken klingeln lassen. Viele AnwältInnen sind schockiert über die Folterspuren bei ihren MandantInnen und die Aufrüstung des Polizei- und  Staatsschutzapparates. Dies - gerade bei linken und grünen AnwältInnen - im Widerspruch zur Politik der Parteien, zu denen sie sich (noch) zugehörig  fühlen. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob neben der Anti-Globalisierungsbewegung eine funktionierende Anti-Repressions-Bewegung und  -struktur entstehen wird. Nötig wäre es ja.

Anti-Rep-Koordination Bern
www.lorraine.ch/genua
 
 
Definition von "terroristischen Straftaten" der Sonderkonferenz EU-Innen- und Justizminister vom 20.9.2001
1. "Jeder Mitgliedstaat ergreift (...) Maßnahmen, folgende Straftaten (...), absichtlich begangen (...) mit dem Ziel, die politischen, wirtschaftlichen oder  sozialen Strukturen zu bedrohen und stark zu beeinträchtigen oder zu zerstören, als terroristische Taten zu bestrafen:
a) Mord; b) Körperverletzung; c) Entführung oder Geiselnahme; d) Erpressung; e) einfachen oder schweren Diebstahl; f) die unerlaubte Inbesitznahme  öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, von Infrastrukturen, öffentlichen Orten und Gütern oder die ihnen zugefügten Schäden; g)  Herstellung, Besitz, Erwerb, Transport oder Bereitstellung von Waffen und Sprengstoffen; h) die Freisetzung giftiger Stoffe oder die Verursachung von  Bränden, Überschwemmungen oder Explosionen, die Gefährdung von Menschen, Gütern, Tieren oder der Umwelt; i) die Störung oder Unterbrechung der  Versorgung mit Wasser, Elektrizität oder anderen Grundgütern; j) Aufträge für Attentate, die ein Informationssystem stören; k) die Drohung mit einer der  oben aufgezählten Straftaten; l) die Führung einer terroristischen Vereinigung; m) die Ermunterung oder Unterstützung (...) oder die Beteiligung an einer  terroristischen Gruppe.

2. (...) Eine terroristische Gruppe (ist) eine strukturierte Vereinigung von mehr als zwei Personen, die für einen gewissen Zeitraum agiert und abgestimmt vorgeht, um terroristische Straftaten zu begehen.(...)" DPA

taz Nr. 6555 vom 21.9.2001