Durch
die Industrialisierung und das Wirtschaftswachstum um 1850 wird die Lorraine
als stadtnahes Gebiet fŸr die Spekulanten interessant. Der Bau der
EisenbahnbrŸcke mit einer unteren Etage fŸr FussgŠngerInnen und Fuhrwerke lšst
ab 1858 einen ersten Bauboom aus. 1861 kauft eine "Baugesellschaft fŸr das
Lorrainequartier" das Terrain zwischen Lorrainestrasse und Bahndamm
(heute: Nordring / Dammweg). Deren Bebauungsplan sieht vor, sechs HŠuserzeilen
zu errichten, die vier bis fŸnf verschiedene Typen von Wohnungen enthalten
("É die allen Classen unserer bŸrgerlichen Gesellschaft genŸgen werden
É", Bericht der Baugesellschaft 1861), wobei die stadtfernste Zeile die
bescheidensten und die stadtnŠchste die komfortabelsten Wohnungen enthalten
sollte. Insgesamt sollten in 24 GebŠuden 150 bis 200 Familien untergebracht
werden.
Nur die stadtfernste Einheit, zu welcher der heutige Quartierhof gehšrt, wird 1862 als einzige genau nach Plan erbaut. Alle Wohnungen erhalten eine Wohnstube, eine Kammer, eine KŸche mit SchŸttstein und Kochherd, VerschlŠge in Estrich und Keller, eine eigene Heizung und einen eigenen Abtritt. Mit der separat zugŠnglichen Kammer wurde ein Logis fŸr sogenannte Schlaf- oder KostgŠnger (meist ledige Arbeiter oder Handlanger) geschaffen, was den MieterInnen einen kleinen Nebenverdienst ermšglichte.
WŠhrend
die zweite HŠuserzeile bereits mit hšherer Dichte als vorgesehen, aber noch im
Geiste des ursprŸnglichen Bebauungskonzeptes entsteht, wird im restlichen Teil
des GrundstŸcks gegen die Stadt hin der Boden immer teurer an immer exklusivere
Interessenten verkauft oder fŸr sie Ÿberbaut. So stehen die HŠuser in der
vorderen Lorraine bald viel dichter und hšher als geplant, und die Idee des
sozialen GefŠlles vom stadtnahen zum stadtfernen Quartierteil verwirklicht sich
auf diese Weise.
Die
beiden HŠuserzeilen werden am Bahndamm (Quartierhof 2 und 2a) und an der
Lorrainestrasse durch zwei nur 6 Meter tiefe Verbindungsbauten ergŠnzt. Sie
enthalten die Tore zum neu entstandenen Hof und bald LŠden und Kleingewerbe,
von 1863 bis 1879 auch das erste PostbŸro des Lorrainequartiers. Die einzelnen
HŠuser werden an Handwerker, kleine Unternehmer oder Angestellte verkauft, so
dass sich 1879, als sich die "Baugesellschaft fŸr das
Lorrainequartier" vermutlich auflšst, die ganze Anlage in den HŠnden
Privater befindet. 1892 wird das Haus 8a als fŸr diese Zeit typischer
Backsteinbau eingefŸgt. In dieser Form Ÿbersteht der Quartierhof die ersten
Erneuerungswellen, welche die Lorraine erfassen, so auch jene nach der Verlegung
der Bahnlinie an den Westrand des Quartiers (1937 - 1941).
Obwohl
1970 eine Quartieranalyse des Stadtplanungsamtes den Wert des Quartierhofs noch
hervorhebt (intaktes Stadtbild und hohe QualitŠten als wichtigstes Zentrum der
QuartieraktivitŠten, namentlich als Spielraum fŸr Kinder), werden schon 1971
die am besten erhaltenen westlichen zwei Drittel des Hofs abgebrochen und durch
einen sterilen Bau im Stil der 70er Jahre ersetzt, der von der
Quartierbevšlkerung bald den Namen "Crme-Schnitte" erhŠlt. Nach dieser
Freveltat schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch der
verbleibende U-fšrmige Teil des Quartierhofs abgerissen wŸrde.
1972/73
erwirbt die PTT den Rest-Quartierhof zusammen mit den HŠusern Dammweg 43 und
Steckweg 9, um auf dem GelŠnde ein Telex-Zentrum zu bauen. 1975 tritt eine
€nderung des stŠdtischen Nutzungszonenplans in Kraft, der fŸr das Q-Hof-Areal
mindestens 50% Wohnnutzung vorschreibt. Da kein reines VerwaltungsgebŠude mehr
gebaut werden kann, verliert die PTT ihr Interesse; sie will den Quartierhof
wieder verkaufen.
1982
schliesst die Marazzi Generalunternehmung mit der PTT einen Kaufrechtsvertrag
ab. FŸr das damals bestehende †berbauungsprojekt der Firma wŸrden aber neben
den drei Liegenschaften der PTT zwei weitere Parzellen benštigt (Dammweg 41 und
Steckweg 3), deren private Besitzer nicht zum Verkauf bereit sind. Auch die
Realisierung eines weiteren Projekts, das 1986 aus einem Wettbewerb als Sieger
hervorgeht, scheitert daran, dass die beiden weiteren Liegenschaften nicht zu kaufen
sind.
Bereits
bevor 1992 nach dreimaliger VerlŠngerung das Kaufrecht Marazzis ablŠuft,
grŸnden die BewohnerInnen 1989 die WohnbaugenossInnenschaft (WBG) Q-Hof. In
dieser Zeit entsteht ein erstes Wandbild an der Westfassade der SŸdzeile. Ende
1992 erfŠhrt die WBG eher zufŠllig, dass die PTT bereits mit der Stadt Bern
Verhandlungen aufgenommen hat. Die PTT will die drei Liegenschaften
Quartierhof, Dammweg 43 und Steckweg 9 gegen 10'000 m2 Bauland in BrŸnnen
tauschen. Weil die Stadt Bern selbst kein Interesse am inzwischen total
vernachlŠssigten Quartierhof hat, kommt die WBG Q-Hof als Baurechtsnehmerin ins
GesprŠch. Auch in den anderen beiden Liegenschaften werden Genossenschaften
gegrŸndet, welche die HŠuser im Baurecht Ÿbernehmen wollen.
Die
Verhandlungen zum Abschluss des Baurechtsvertrag gestalten sich schwierig. Ein
erster Vertragsentwurf sieht einen Baurechtszins von Fr. 162'500.Ñ pro Jahr
vor, was die WBG nur ablehnen kann. Erst nach der Pensionierung des Beamten,
der fŸr die Stadt die Verhandlungen fŸhrte, wird ein zweiter Vertrag
ausgehandelt, der fŸr den Q-Hof einen jŠhrlichen Baurechtszins von Fr. 56'500.Ñ
(fŸr alle drei Liegenschaften Fr. 97'500.Ñ) vorsieht, bei einer Baurechtsdauer
von 80 Jahren. Der "Fonds fŸr Boden- und Wohnbaupolitik der Stadt
Bern" stimmt dem Vertragsentwurf im Juli 1994 im dritten Anlauf zu. Als
nach der Zustimmung des Gemeinderates die Baurechtszusicherung vorliegt, kann
die Projektierung des Umbaus in Angriff genommen werden.
Nach
der Festlegung des Baurechtszinses wird im Quartierhof der fŸr die
GebŠudesubstanz gefŠhrliche "Echte Hausschwamm" entdeckt. Zudem wird
festgestellt, dass die Stromzuleitungen nicht den gesetzlichen Bestimmungen
angepasst worden sind. Die daraus und aus weiteren kleineren Posten resultierenden
Mehrkosten von Fr. 689'000.Ñ stellen das ganze Projekt in Frage, so dass in
neuen Verhandlungen mit der Stadt versucht wird, durch Erlass oder Staffelung
des Baurechtszinses diese Mehrkosten abzuwŠlzen. Dieses Verhandlungsziel wird
nur teilweise erreicht: Durch fŸnfjŠhrigen Erlass und anschliessender
Staffelung des Baurechtszinses kšnnen Fr. 415'000.Ñ eingespart werden.
Die
Stadt verlangt fŸr die Abgabe der drei Liegenschaften im Baurecht, dass
mindestens fŸr zwei der Projekte Baubewilligungen vorliegen und fŸr das dritte
das Baugesuch eingereicht worden ist. Nachdem diese Bedingung erfŸllt ist, wird
am 7. Mai 1996 der Baurechtsvertrag fŸr die Dauer von 80 Jahren abgeschlossen.
Die
Renovation des Quartierhofs wird Haus um Haus von 1996 bis 1999 unter der Leitung
des Architekten und Baubiologen Bernard Stofer, Solothurn, ausgefŸhrt. Der
Kostenvoranschlag von Fr. 3'800'000.Ñ wird wŠhrend der Bauzeit durch
Projekterweiterungen etwas erhšht. Weil die BewohnerInnen sich verpflichten,
wŠhrend der Bauzeit zuerst fŸnf und spŠter sechs Stunden pro Monat
unentgeltlich auf dem Bau zu arbeiten (oder die entsprechenden Stunden
finanziell abzugelten), aber auch durch eine rigorose Kostenkontrolle, kann der
Kostenvoranschlag eingehalten werden. Ein durch die Alternative Bank ABS in
Auftrag gegebenes Verkehrswertgutachten ergibt fŸr den Q-Hof einen Marktwert
von Fr. 4,04 Mio., was ziemlich genau den Baukosten plus Fr. 200'000.Ñ fŸr die
Eigenleistungen der BewohnerInnen entspricht. Das neue Wandbild an der
Westfassade des Quartierhofs 5 wird von Markus Rudin und Colby Blumer
gestaltet.
NŠhere
Einzelheiten zum Umbau und dessen Finanzierung finden sich in den sieben
Info-Rundbriefen, mit denen FreundInnen des Projekts ab und zu Ÿber den
Baufortschritt informiert wurden.
Im
BŸro sind noch einzelne Exemplare vorhanden, die bei Interesse ausgeliehen
werden kšnnen.